Hallo,
super spannend, denn da wird ein Thema aufgegriffen, das wir schon öfter diskutiert haben.
Wir, also meine Feiercombo und ich sind ja auch nicht unbedingt Frischlinge.
Mit der Perspektive von mittlerweile über 13 Jahren aktiver Teilnahme am Technoleben hier in Berlin kann ich die geschilderten Beobachtungen absolut bestätigen. Rempeln und Drängeln auf der Tanzfläche, mit Handtaschen um sich schlagen, 'ausgelassener Paartanz' bei dem alles in der näheren Umgebung umgemäht wird, sich exakt an die Stelle begeben, wo gerade wer tanzt und denjenigen mit Ellenbogeneinsatz beiseite schieben bis hin zum sich mitten auf der Tanzfläche hinstellen (möglichst um ein Häufchen mit Rücksäcken) und dort Quatschen anstatt zu tanzen.
Da diese Phänomene umso häufiger auftreten, je weniger 'alternativ' die Veranstaltung ist, haben wir schon überlegt ob es wohl (auch) an den konsumierten Drogen liegt - also ob das Koks nicht einfach zu billig ist. Oder ob früher nicht doch einfach weniger gesoffen wurde. Zudem kann man beobachten, das das natürlich auch stark vom Veranstaltungsort und dem Lineup abhängig ist. Bei Locations bzw. Acts die auch dem schnöseligen Schicki-Micki-Mitte-ich-bin-kreativ-und-bei-MTV/Universal/Viva/Bla Publikum ein Begriff sind, ist das viel ausgeprägter.
Dazu kommt, das auf viel Veranstaltungen einfach keine 'Feiermusik' mehr gespielt wird. In einer Bar oder Lounge mögen 120bpm-Arschwackeltechno ja angemessen sein - aber bitte doch nicht in der Location 'altes Lagerhaus/Speicher' o.ä. auf 1000qm.
Neben dem aggressiven Verhalten finde ich die mangelnde Kommunikation am schlimmsten. Früher haben sich alle über die tolle Musik gefreut. Wenn ein besonderes Stück gespielt wurde, konnte man die Wellen der Emotionen, die über die Tanzfläche jagten, fast körperlich spüren. Wenn man zu jemandem Blickkontakt aufgenommen hat, wurde man angelächelt, es wurdem einem spontan Getränke von fremden angeboten. Auch ausserhalb der Clubs und vor bzw. nach den Partys war man ein Familie. Ich bin oft mit fremden Leuten, die ich irgendwo getroffen und an ihrem Aussehen als Gleichgesinnte erkannt hatte, durch die Nacht gezogen. Mir fehlen zudem die vielen Schwulen und Lesben, die früher selbstverständlich ein Teil der Feiergemeinde waren.
Manchmal habe ich mich schon gefragt, ob ich einfach zu alt bin. Ob ich irgendwie ein Alien bin, weil ich diese Dinge vermisse. Denn die entsprechenden (jüngeren) Partygäste 'von heute' scheint die aktuelle Partysituation ja nicht zu stören. Das was da heute vielfach abläuft, ist jedenfalls nicht mehr 'mein Techno'. Zu vielen Veranstaltungen gehe ich einfach nicht mehr, weil von vornherein klar ist, dass da die falschen Leute kommen. Wenn es nicht immer noch einige illegale, inoffizielle Veranstaltungen gäbe, die in keinem Tourist-Guide drinstehen und nicht im Radio durchgesagt werden, dann könnte ich mir das Ausgehen schon fast abgewöhnen. Sehr sehr Schade das.
Einen kleine Lichtblick bedeuten für mich allerdings die vielen 'Reclaim the Streets' und/oder 'Reclaim the Park' (wahlweise auch 'Wald', 'Grünfäche' oder 'Abrissbrache') Aktionen, die hier in Berlin mehr oder weniger versteckt laufen. Auf diesen (meisst nicht angemeldeteten) kleinen Veranstaltungen, die auch nur einem kleinen Kreis von 'Feierenthusiasten' bekannt sind, lebt der Familiengedanke sehr oft noch. Vielleicht ist es ja einfach an der Zeit, zu solch kleinen, elitären Feierzirkeln, die in der Öffentlichkeit kaum bemerkt werden, zurückzukehren.
Grüße, Georg
edit: nen Komma verrückt
