Ich gehe mit dem Thema wesentlich lockerer um seit ich Zivi in einer Schule für behinderte Kinder war. Ich war einer Klasse für schwerst - mehrfach Behinderte zugeteilt. Das sind die schwersten Formen von Behinderung, die es gibt. In meiner
Klasse waren 6 Jungen und Mädchen, von denen der älteste
16 Jahre alt war. Alle Kinder waren geistig und körperlich so schwer beeinträchtigt, dass sie weder alleine lebensfähig, noch in irgendeiner Form therapierbar waren. Als absoluter Erfolg galt schon, wenn ein Kind es mal geschafft hat, eine Gabel selbst zu halten ( womit noch lange nicht gesagt ist, dass es auch selbst
essen konnte ). Aber das konnte ohnehin nur eines der Kinder und auch das nur an guten Tagen.
Dementsprechend bestand meine Tätigkeit ausschließlich in
Pflegearbeiten. Also Rausheben aus dem Rollstuhl, Reinheben, Füttern und Wickeln.
Wenn man das mal hautnah miterlebt hat, betrachtet man Menschen, die ein bisschen humpeln oder übermässig dicke Brillen tragen nicht mehr wirklich als behindert. Man weiss, dass es noch viel schlimmer kommen kann und dass das jedem jederzeit passieren kann.
Am nachhaltigsten in Erinnerung geblieben ist mir neben den Kids in meiner Klasse aber auch das Verhalten der anderen Kinder, die
geistig und körperlich weniger eingeschränkt waren. Ihr glaubt nicht wie locker die mit ihrer eigenen Behinderung und denen der anderen umgegangen sind. Auf dem Schulhof konnte man dieselben Schimpfwörter und Verunglimpfungen wie an jeder normalen Schule hören: "Behindi", "Spast" u.ä.
Die wenigsten Kinder zeichneten sich durch Toleranz gegenüber
Behinderten aus. Im Gegenteil: Die fitteren verunglimpften die schwerer Behinderten. Im Umgang mit den Kindern fiel es auch uns Zivis mit der Zeit leicht, Witze über die ein oder andere Beeinträchtigung zu machen. Das geschah aber nicht aus einem Gefühl der Überlegenheit oder einer Geringschätzung den Kindern gegenüber heraus. Wenn man überall um sich herum
nur Behinderte hat, wird dieser Umstand irgendwann normal und man beginnt seine Scheu zu verlieren. Deshalb macht man ab und zu auch mal einen Witz über körperliche Fehlbildungen,
genauso wie sich ein gesunder Mensch auch mal Witze über eine zu große Nase oder abstehende Ohren anhören muss. Die Kids
selbst gingen damit ganz locker um. Entweder lachten sie selbst oder gaben gleich einen bissigen Spruch zurück.
Grundsätzlich kann man dem Begriff "Behinderung" mit unterschiedlichen Haltungen begegnen, man sollte nur nicht den Respekt vor den davon betroffenen Menschen verlieren. In jedem Fall ist es aber wesentlich besser Witze darüber zu machen als
Behinderten mit Mitleid zu begegnen. Mitleid ist das letzte, was ein Mensch in dieser Situation braucht. Dementsprechend ist Mitleid so ziemlich das schlimmste Schimpfwort für einen Behinderten.
