Diesen Thread hatte ich schon fast vergessen und in der Schublade „Noch ein langweiliger Pop Titel vom Paule“ abgelegt
Eines vorweg: Ohne jemandem zu nahe treten zu wollen, ist mir diese Analogie von „Wir sind wir“ und „Auferstanden aus Ruinen“ auch schon mal in den Sinn gekommen. Na, wo ist Herr Paul aufgewachsen?
Unabhängig von „Wir sind wir“ ****t mich dieses „Wunder von Bern“ -Geblubber aber schon länger an. Vielleicht liegt es auch einfach daran, dass ich für Fußball noch weniger übrig habe, als für Sackläuse, weshalb ich dieses "Wunder" nie verstanden habe. Es stellt sich natürlich die Frage, warum diese Musik so erfolgreich ist.
Klar, vielen Deutschen geht es nicht so gut, oder besser gesagt, viele Deutsche befürchten, es gehe ihnen in Zukunft schlechter. Damit hat man schon mal eine Grundstimmung, die sich, musikalisch umgesetzt, einer Zielgruppe jenseits von Popstars recht gut verkaufen lässt. Einer Zielgruppe bzw. einer Generation, denen das ständige Erinnern an einen Abschnitt in der deutschen Vergangenheit zum Hals raushängt. Einer Generation, die sich international und weltoffen fühlt und mit Geschichtsbewusstsein nicht viel am Hut hat.
Rammstein und deren unbefangener Umgang mit dem dritten Reich bzw. der Leni Riefenstahl -Ästhetik fand ich schon immer ******e. Auch das ist zwar wie so oft eine reine Provokation gegen die "Alt-68er", die zu ihrer Zeit gegen die Altnazis in deutschen Strukturen gekämpft haben, aber ich sehe keinen Grund, warum nur der Provokation wegen, ohne konkreten Sinn und Verstand, mit diesem Material hantiert werden muss. Schließlich geht es eben nicht mehr darum, eine (sachliche) Diskussion überhaupt erst möglich zu machen, sondern um reines Auskosten des antrainierten Schuldgefühls aller Deutschen. Jetzt mag man sagen, wir können doch nichts dafür, was hier vor 70 Jahren passiert ist. Stimmt, aber wir haben die Verantwortung mit dieser Historie
angemessen umzugehen. So gerne man das auch immer wieder anzweifelt, aber es ist meine feste Überzeugung, dass es uns Deutsche auszeichnet, ein „verkrampftes Nationalbewusstsein“ zu haben. Diese Verkrampftheit wünsche ich mir eigentlich für viele andere Nationen (um es plakativ zu machen: USA). Denn wie leicht fällt es doch, sich im Freudentaumel oder Schreckenstrauma an nationalen Symbolen festzuhalten und dabei alles Negative zu vergessen?
Nebeneffekt des ganzen ist leider, dass jede andere Geschichte Deutschlands vernachlässigt wird. Deutschland ist aber nicht 1933 und schon gar nicht 1945 entstanden. Die Wurzeln reichen viel weiter in die Vergangenheit. Und genau das unterschlägt auch „Wir sind wir“. Es tut so, als gäbe es nur dieses Deutschland nach 45, wie es sich aus den Ruinen aufschwingt und Erfolge auf dem Fußballplatz feiert. Wenn man schon singt „wir sind wir, wir stehen hier“, dann darf man nicht die Goethes, Beethovens (als Bonner muss ich ihn nennen
) oder auch Keplers unterschlagen. Dann darf man nicht die 50er als Auferstehungs-Mythos glorifizieren, in deren Tiefen rein gar nichts wundervoll war, sondern die in ihren politischen und historischen Strukturen bis zur RAF geführt haben.
Und so beißt sich die Katze in den $chwanz, denn es muss doch einen Grund haben, warum man sich ausgerechnet dieser deutschen Aufbaulegende angenommen hat. Das einseitig verkrampfte Nationalbewusstsein wird von denen gefördert, die sich von der sachlichen Ebene entfernen, um mit emotionsgeladenen Kinofilmen, Musikstücken oder sonstigem pseudokünstlerischem Output Stimmungen zu treffen oder gar zu erzeugen. Das alles in einer Zeit, gezeichnet vom Börsencrash und Sozialabbau, in der in Ost und West (N)ostalgiewellen über uns hereinbrechen, uns dümmliche Neuauflagen von alten Songs an (angeblich) bessere Zeiten erinnern, dem Kanzler beim Kinobesuch Tränen die Wangen runter laufen, bei einem Film, der zeigt, wie erfolgreich deutsche Fußballer mal waren. Fußballer als Symbol für eine geschundenes Land, das sich wieder aufrappelt um der Welt zu zeigen: Wir sind wieder wer. Kein Wort über ein fanatisiertes Volk, das sich selbst, in blindem Demokratieverdruss, einen Diktator an die Spitze gesetzt hat, der mit grausamer aktiver Unterstützung vieler Deutschen, Millionen Menschen ermordet hat. Sicher, jedes Land hat so seine Geschichte mit Massakern, Bürgerkriegen und allem schlechtem, was im Menschen steckt, aber warum sollen wir es allen anderen gleich tun und mit einer lässigen Handbewegung alle Zweifel ablegen und die Nationalhymne grölend, stolz auf „unser“ Land sein, wo wir doch (je nach alter) noch gar nichts dafür getan haben?
Gut, ich schweife ab und jetzt alles an „Wir sind wir“ aufzuhängen ist unfair. Es war eben diese Doku von Knopp im ZDF, wodurch Paule (mit Eurozeichen in den Augen?) in diese Sache reingerutscht ist. Beschweren darf er sich aber nicht, denn das ist eben die Gefahr, wenn man Auftragsarbeiten annimmt und man (gewollt!) von Instrumental- auf Vokalmusik umsteigt, die in ihrer Aussage eben nicht so schön abstrakt und unbestimmt, sondern konkret und damit angreifbar ist.