Kolumne – Hardtechno in und um Berlin lebt noch!?

[Zak McCoy]

Wer hätte das gedacht, dass es noch Alternativen im tristen doch sehr einheitlich klingenden Clubleben in Berlin gibt? Nein, völliger Quatsch! Natürlich ist Berlin immer musikalisch schillernd und abwechslungsreich, aber für den Einen oder Anderen Fan der härteren Klangkost mag das durchaus so aussehen.

Wenn man mal so zurückblickt, ist es schon verwunderlich das die Hardtechno-Szene sehr geschrumpft ist, waren es doch zwischen 2001 und 2009 gefühlt fast wöchentliche Veranstaltungen die mit „harten“ Acts im Lineup Partybesucher lockten, sieht es heute doch sehr übersichtlich aus. Doch warum ist das so? Was ist passiert?

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[dan99]

AW: Kolumne - Hardtechno in und um Berlin lebt noch!?

Berlin wird gerade in den letzten Jahren ziemlich handzahm und mainstreamig, den Eindruck habe ich auch.

Ansonsten nur mal so ein paar Gedanken dazu, nicht nur auf die Techno-Ecke bezogen:

Es gibt da dieses blöde Sprichwort "nichts ist so stetig wie die Veränderung". Da liegt das Dilemma vieler Szenen, die sich selbst als "underground" bezeichnen oder gern so sein wollen. Wenn sich eine Szene als "underground" abzugrenzen versucht, dann bleibt ihr der Publikumsstamm erhalten. Bis es irgendwann immer weniger werden. Alternativ kann sich der "underground" weiter öffnen, um neues Pulikum anzuziehen. Und dann wird er irgendwann zum Normalo-Mainstream. Und stirbt damit irgendwie auch.

Das gleiche Spielchen gab's vor zig Jahren schon bei den Hippies, in den 80ern bei den Grufties, die ehemals farbenfroh-verstrahlte 90er-Goa-Ecke ist genauso schleichend untergegangen. Ich sehe da kein Spezifikum der Hardtechno-Ecke.

Dazu kommt dann wohl von der gesamtgesellschaftlichen Seite, dass insgesamt der Anpassungsdruck steigt. Vor 10-20 Jahren war es einfacher, z. B. im Alltags-/Arbeitsleben konsequent seinen Stil durchzuleben. Da waren manche Mitmenschen nicht nur wochenend-nachts Bestandteil irgendeiner "Szene", sondern eigentlich immer, im ganzen Leben. Da die Konkurrenz z. B. um einzelne Arbeitsplätze nicht so groß war wie heute, wurden Menschen mit ihren Individualitäten eher akzeptiert als heute, wo häufig der unauffälligste, angepaßteste Mensch "gewinnt". Mit dem Ergebnis, dass eben auch auf Parties immer mehr Leute im Einheits-Outfit auftauchen. Individualismus bedeutet immer eine gewisse Portion an Mut, und den muss man sich auch leisten können. Und das können gerade in den letzten Jahren immer weniger Leute.

Und die Studenten in der Stadt? Sind vermutlich auch nicht mehr so feierwütig wie vor einigen Jahren. Der Druck durch die Straffung der universitären Ausbildung hat deutlich zugenommen. Wer Samstags abends nicht auch noch am Schreibtisch sitzt und büffelt, der verliert Semester. War früher mal anders. Und wegen des gesamtgesellschaftlichen Druckes heute meinen halt immer mehr Studis, dass es wirklich sinnvoll sei, auch am Wochenende noch zu büffeln - anstatt mal das Leben zu geniessen, was eh viel zu kurz ist.

Rückgekoppelt auf den Zustand der "Szene" (bzw. irgendeiner Szene, ist Genre-unspezifisch) bedeutet das aber dann auch wieder, dass diejenigen, die sich einer "Szene" voll hingeben, über die Jahre schleichend sogar ein gewisses Loser-Images bekommen haben - bezogen auf die "Karriere" im "Alltag". Spaß haben im Leben steht halt nicht mehr oben auf der Liste. Die meisten verbeißen sich lieber in fragwürdigem Streben nach gesellschaftlichem Vorankommen. Da geht dann der Spaß verloren. Und wenn's dann doch mal raus geht in den Club, dann ist auch nicht mehr die Unbefangenheit da, wie sie vor 10, 20 Jahren vielleicht noch da war.

Wenn man dann noch das letzte Thema betrachtet, was "szenerelevant" ist, komplettiert sich das Bild. Ich meine das Stichwort Rauschmittel. Die lustig-verstrahlte 90er-Jahre-Klientel ist zum einen in drastisch gewachsenenen Alkoholkonsum ersoffen worden (ein gesamtgesellschaftlicher Trend, wohl auch kulturell eingeschleppt in der zweiten Hälfte der 90er durch die großen Massen an Zuzüglern aus Osteuropa). Und wer nicht säuft und auch nichts einwirft, sondern eher straight-edge-mäßig unterwegs ist, der tut das nur teilweise aus Überzeugung - viele bleiben auch wegen obiger Motive ultraclean. Die sanft-verstrahlte Landung am Montag und Dienstag (oder der brutale Kater danach, je nach Konsumpräferenz) ist schließlich auch etwas, was man sich im (beruflich-studentischen) Alltagsleben erstmal leisten können muss.

Bleibt insgesamt nur eins: Gleichgesinnte finden, im kleinen Kreis was aufbauen, weiterfeiern...

 

[quinto]

öhm... was du da beschreibst, ist doch eine ganz normale entwicklung in der musik ganz allgemein
das rad der zeit dreht sich halt weiter. zum glück.
was du nämlich wohl ob der eigenen musikalischen sozialisation wegblendest: auch dieser hardtechno ist aus einer weiterentwicklung entstanden. genauso wie 100e stile vorher auch. das fängt irgendwann mal an sich zu entwickeln, wird dann populär und anschließend ausgeschlachtet, bis das keiner mehr hören mag. der einstige kern zieht sich dann zurück und fummelt für sich im kleinen weiter, bis es entweder versiegt oder sich dort weiterentwickelt, um später anders oder aufgewärmt als retrowelle wieder zu kommen.
parallel zur hochzeit des einen, startet dann schon wieder eine "schiefe gegenbewegung" ihr ding. im falle von hardtechno war das dann minimal. weil viele das ewig gleiche gedonner oder den gleichzeitig standfindenden infantilen electroclash nicht mehr hören wollten. nicht umsonst fällt das aufstreben und breit machen von kompakt und umfeld in genau die zeit.
hinzukommt der wechsel des publikums. das was sich gemein hin auf szenepartys einfindet ist genau das meist nicht: szene. das sind junge leute, die spass haben wollen und sich der musik gerade hingeben können. aber das ist meist eben nur eine phase im leben. spätestens mit eigener familie sind die meisten raus und andere dann da, die aber andere hörgewohnheiten mitbringen.
das zeigt sich dann übrigens auch in der mode. zelthosen, vogelnestfrisur usw. (der karstadtraver) war mitnichten individuell. wäre dem so, wären nicht 1000e genau so rumgelaufen. heute haste dafür die hipster. genauso unindividuell, weil sie alle gleich aussehen. der hipster als heutige entsprechung des karstadtravers.

man kann das freilich aus seiner warte heraus nun alles schlecht finden, spezielle ursachen suchen, nur es ändert nichts.
es bleiben immer die 3 optionen:
1. die szene verlassen, in der vergangenheit weiterleben. und an jeder ecke auf das alte zeigen und diesem nachtrauern
2. bei neuen mitwirken und gestalten ohne gleich auf den bandwagon aufzuspringen.
3. das alte weiterentwickeln und voranbringen ohne "hängenzubleiben"

abschließend: was mir immer gehörig auf den zeiger geht, ist diese ständige berlin-referenz. als wäre techno und co immer nur ein berliner phänomen. nee, ist es nicht. das sind entwicklungen, die zum glück global ablaufen. von LA bis tokyo. da dauernd auf berlin zu zeigen hat was dorfiges....

 

[wizzzo]

ich sehe das etwas anders Dan.

Zum einen finde ich, dass man heute so "frech" wie nie auftreten darf, es unzählige Berfusfelder gibt, in denen man auch etwas unangepasster auftreten darf. (Medien, usw...)
Das der Leistungsdruck höher ist als früher seh ich aber auch so.

Auch bei den Studenten denke ich anders (bin selbst einer...)

Weiß zwar nicht wie es früher war, aber ich finde dass das "Feiern" einen enormen Stellenwert bekommen hat. Viele meiner Freunde leben praktisch nur noch fürs WE, Gespräche drehen sich ums WE, was, wo, wann, wie gefeiert wird.

Wo wir zum 1. Mai noch Eier geworfen haben, sieht man heute niemand mehr draussen, alle hängen in Bars und CLubs.

Ansonsten sehe ich das wie Quinto, jeder Stil durchlebt seine Zeit, jetzt ist es halt grad dieser Deephouse-Kram, mit seinen Hipster-Jüngern.
Wird wohl noch länger so bleiben denk ich.

 

[chevy]

sehr interessant was ihr dazu zu sagen habt.

Das Thema "Anspassung", das Dan anspricht empfinde ich auch sehr ähnlich.
Ich habe das Gefühl, dass die "Anpassung" auch einer der Hauptgründe für die meisten hier angesprochenen Themen ist.
* Szenen verschwinden, weil die Mehrheit das Alte hinter sich lässt um das Neue zu entdecken.
Aber oft nicht aus eigener Überzeugung.. sondern aus dem inneren Zwang heraus dem großen Ganzen zu folgen.. sich anzupassen.
Altes zu bewahren, seinen Gefühlen zu folgen, Kreativ mit seiner Fantasie umzugehen wäre das Gegenteil davon sich anzupassen
und ist heute eine Seltenheit.
Ich zähle mich selbst zum großen Teil zu den Menschen,
die es fast nicht anders kennen und können als sich anzupassen.
Es macht das Leben gemütlicher.
* Um auf Quintos Aussage einzugehen: Viele assoziieren Berlin mit Techno,
weil so oft geschrieben steht, dass Berlin die Technohauptstadt wäre und dieser Aussage folgen viele blind und passen sich damit ebenso an.

Beispiele gibt es zu genüge.
Jeder wird, wenn er ehrlich ist viele an sich selbst finden.

Verteufeln will ich aber nicht: Anpassung hat seinen Sinn.. ja ist wahrscheinlich sogar notwendig um unsere Strukturen zu bewahren.
Trotzdem empfinde ich es persönlich als sehr wichtig, um mit sich zufrieden sein zu können,
über das Thema nachzudenken und sich darüber bewusst zu werden,
dass man gar nicht so frei in sich ist wie man manchmal denken mag.
Als Folge daraus kann jeder dann selektierte Bereiche wieder für SICH entdecken.
Damit meine ich beispielsweiße genau das, was Dan zuletzt beschrieben hat:
Hören wozu man selbst Lust hat, Gleichgesinnte suchen und im Kleinen Kreise das zelebrieren,
was EVTL. sonst keiner beachtet.. ob nun Hardtechno, Mainstream oder was auch immer.

 

[Zak McCoy]

zum Thema Berlin... @quinto

ich will hier nicht den Berlin hype rauslassen oder sonst was sondern lediglich die entwicklung speziell die hier stattfand/findet aus meiner sicht beschreiben

es ist auch einfach fuer mich als act immer wieder auffaellig das nicht wir berliner es sind die diesen hype entfachen, sondern ihr von ausserhalb... ich fahr in eine andere city und werd mit grossen augen angeschaut als waer ich vom mars nur weil ich aus der grossen stadt komme, klingt komisch, ist aber so

 

[quinto]

jo, das hab ich wohl verstanden.
es fällt nur auf, dass öfter - zb beim bmi - der umkehrschluss gemacht wird: berlin-> allgemeine entwicklung. statt richtigerweise: allgemeine entwicklung -> berlin.

 

[dan99]

AW: Kolumne - Hardtechno in und um Berlin lebt noch!?

es fällt nur auf, dass öfter - zb beim bmi - der umkehrschluss gemacht wird: berlin-> allgemeine entwicklung. statt richtigerweise: allgemeine entwicklung -> berlin.

Das hat aber andere, völlig profane Gründe:

Wenn z. B. irgendwelche breit gefaßten Studien in der Bevölkerung gemacht werden, dann ist das in Ballungsgebieten häufig einfacher bzw. kostengünstiger zu bewerkstelligen. Und Berlin ist nunmal die größte Stadt Deutschlands, die noch dazu eine demographisch sehr "gesunde" Bevölkerungsstruktur hat.